
„Wir sehen uns auf der Straße“
Brausen vom Himmel, gewaltiger Wind, Feuerzungen, Heiliger Geist – wenn Gott an Pfingsten zu den Menschen kommt, ist ordentlich was los. So erzählt es die Apostelgeschichte. Alle sind da, verstehen sich, feiern zusammen, sind be-geistert. Und einige Außenstehende lästern: Die sind doch betrunken! Aber Petrus hält ihnen entgegen: wir sind nicht betrunken, sondern berauscht! Berauscht von der Liebe Gottes. Denn wir spüren sie, auch wenn Jesus nicht mehr bei uns ist. Wir feiern Gottes Gegenwart und vertrauen auf seine Kraft. Das ist Pfingsten: Wenn Menschen im Alltag Gott begegnen und seine Kraft spüren.
Wo begegnen wir Gott im alltäglichen Leben? Ich bin sicher, jeder hat ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Ich möchte von einer Begegnung erzählen, die mich sehr berührt hat:
Montag Morgen. Ich wache mit Kopfschmerzen auf. Und das an meinem freien Tag! Dabei hatte ich mir heute so viel vorgenommen. Als erstes steige ich auf mein Rad. Der Himmel ist bedeckt, die Wolken hängen in den Colli fest. Mein Ziel in diesem besonderen Teil des Veneto: eine Ölmühle in der Nähe des Städtchens Galzignano Terme. Viel zu schnell gehe ich die etwa 15 km lange Strecke an, ächze die fünf Serpentinen hinter Torreglia hoch. Viel Freude empfinde ich nicht dabei. Dann die letzte Steigung vor Galzignano. Auf einmal verheddert sich meine Fahrradkette zwischen zwei Kettenblättern. Nichts geht mehr, die Kette hat sich total festgeklemmt. Und das ausgerechnet hier!
Da kommt auf einmal ein Rennradler die Steigung hoch. Anfang 60, gut in Form, strahlt er mich an. “Hast Du Schwierigkeiten?“ ruft er mir zu. Und dann fährt er zu mir, steigt ab und versucht, mein Rad zu reparieren. Erfolglos. „Hör zu“, sagt er zu mir, „etwa 1 Kilometer von hier befindet sich eine Vespa-Werkstatt. Die können Dir bestimmt helfen. Du schiebst da jetzt das Rad hin. Ich fahre schon mal vor und sage denen Bescheid!“ Nach zwanzig Minuten Schieben komme ich in der Werkstatt an. Der Rennradler scherzt schon mit dem Mechaniker. Es geht -natürlich- um Fußball. Dann schaut sich der Mechaniker mein Rad an. „Das kriegen wir hin. Aber dafür brauche ich ein bisschen Zeit“.
Weil wir uns sympathisch sind, lade ich den Rennradler in der Zwischenzeit auf einen Espresso in die Bar nebenan ein. Es wird, völlig unerwartet, ein schönes und intensives Gespräch. Er erzählt von seinem Beruf, vom kürzlichen Tod seiner Frau und davon, wie ihm das Rennradfahren hilft, damit umgehen zu können. „Manchmal habe ich den Eindruck, ich treffe Gott auf der Straße. Und dann schimpfe ich mit ihm.“ Eine kurze Pause entsteht. Und er fügt leise hinzu: „Und manchmal sage ich auch einfach nur danke, dass ich leben darf“.
Kurz darauf ist mein Fahrrad fertig. Die kleine Reparatur kostet nichts – Ehrensache unter italienischen Ciclisti. Am Ende gibt mir der Rennradler noch ein Tipp, wo es seiner Meinung nach das beste Olivenöl in den Collis zu kaufen gibt und beschreibt mir den Weg zu einem Agriturismo in der Nähe. Und so verabschieden wir uns, wie man es in Italien mit Menschen macht, die man gut kennt: Abbraccio, zwei Schmatzer auf die Backe. “Ci vediamo sulla strada!- Wir sehen uns auf der Starße!“ ruft er mir im Wegfahren zu und winkt.
Ich fahre zum Agriturismo. Der Weg schlängelt sich durch eine Kirschbaumplantage, die wunderbar blüht. Die Sonne kommt hervor. Ich genieße den Tag. Die Hektik, die Kopfschmerzen: Alles ist wie weggeblasen. Vielleicht hat der liebe Gott seine Finger im Spiel gehabt, als sich meine Fahrradkette am Anstieg vor Galzignano verheddert hat…auf jeden Fall hat er mir diesen Tag geschenkt. Unerwartet und mitten auf der Straße. Ci vediamo sulla strada.
Ich wünsche Ihnen inspirierende und begeisternde Begegnungen!
Pfarrer Dr. Johannes M. Ruschke (Venedig / Abano Terme)
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